Waren Eltern in der Krise zu leise? – Ideen für mehr „Empörung“ & wirkungsvollen Protest

Die vergangenen Monate waren hart für viele Eltern. Plötzlich hatten sie keine Kinderbetreuung mehr, dafür aber neben ihrer Arbeit zu Hause noch einen zusätzlichen Hilfslehrerjob. Mama Christine fasst zusammen, worauf es ankommt, damit Eltern von der Politik stärker wahrgenommen werden.

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Eltern, für die schon vorher die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung darstellte, berichten seit März von Erschöpfungszuständen und schlaflosen Nächten. Das fragile Konstrukt ihres Familienlebens wurde zur Grenzerfahrung, die manche an den Rand der Verzweiflung trieb. Warum hat es so lange gedauert, bis ihre Not in der Öffentlichkeit und von der Politik gesehen wurde?

#CoronaEltern: In den sozialen Medien gab es eine Vielzahl von Stimmen

Eigentlich ist es mysteriös, dass Familien in der Corona-Krise von der Politik so lange ignoriert wurden. Denn es ist ja nicht so, dass sich die überlasteten Eltern nicht zu Wort gemeldet hätten. Sie taten es vornehmlich in den sozialen Medien, wo sie in Tweets, Instagram-Beiträgen oder auf Elternblogs ihrer Verzweiflung Luft machten. Hier schrieben sie über die Schwierigkeiten, die das Leben als Familie in der Corona-Krise mit sich brachte.

Es gab mehrere reichweitenstarke Hashtags, z. B. #CoronaEltern. Diese wurden teilweise von Online- oder Printmedien und auch von Talkshows wie Hart aber Fair sowie Nachrichtensendungen aufgegriffen. Schon im April gründete sich die Initiative Eltern in der Krise, die ebenfalls viel Presse erhielt. Ebenfalls im April entstand eine Petition namens #UnserePerspektive, die auf die Auswirkungen der Krise auf Eltern aufmerksam machen wollte.

Bei einem weiteren Hashtag, unter dem Frauen fiktive Rechnungen für die von ihnen geleisteten Dienste als Lehrerin, Kinderbetreuerin und Köchin aufstellten, ging die Sache allerdings nach hinten los: #CoronaElternrechnenab provozierte im Mai einen Shitstorm. Etliche empörten sich, da erstens Kinder doch keine Arbeit seien und zweitens man seine Kinder auf keinen Fall liebe, wenn man so etwas veröffentliche. Nicht wenige nahmen die Berechnungen für bare Münze und fragten irritiert, wer das denn bezahlen solle. Und da sehen wir schon, wie schnell der Versuch, sich und seinen Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen, durch Stimmungen und Polarisierung scheitern kann.

Wer am lautesten schreit, wird nicht am besten gehört

Die Platzierung in den Medien allein ist also nicht entscheidend – gehört worden waren die Corona-Eltern. Aber warum hat sich dann gefühlt niemand um die Anliegen dieser Eltern gekümmert?

„Es ist nicht immer so, dass diejenigen, die am lautesten schreien, am besten gehört werden“, sagte eine erfahrene Stadtratskollegin in einer Sitzungspause zu mir, als ich noch ganz neu im Gemeinderat war. Damals ging es um die Frage, ob wir für Sitzungszeiten die Kinderbetreuungskosten erstattet bekämen. Ich hatte irgendetwas Drastisches in Aussicht gestellt, um meiner Forderung Ausdruck zu verleihen. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich in einer Sitzung gesagt, dass ich dann halt zukünftig Lebensmittel bei „Die Tafel e. V.“ besorgen müsse. Denn wenn ich privat noch einen Kindersitter bzw. eine Kindersitterin einstellen müsse, könne ich mir das Stadtratsehrenamt nicht leisten.

Wer gehört werden will, muss politische Abläufe kennen

Was die andere Stadträtin, übrigens ebenfalls Mutter, mir sagen wollte: Egal, wie berechtigt eine Forderung ist, es ist ganz entscheidend, wie man sie vorträgt – und auch wo man sie platziert. Politik sieht nämlich nur von außen einfach aus. In Wahrheit handelt es sich um einen komplizierten Prozess. Dieser verlangt viel Wissen über Abläufe und Strukturen, wenn man konkrete Dinge umsetzen möchte.

Dazu gehört nicht nur, zu wissen, an wen ich mich mit meiner Forderung wende, sondern auch, wann ich das tue und – ganz entscheidend – wen ich dafür mit ins Boot hole. Um bei dem Bild des Boots zu bleiben: Das Problem war, dass die Corona-Eltern kein gemeinsames Boot hatten, nur eine Botschaft, die sie transportieren wollten. So gab es viele einzelne Initiativen und Gruppierungen, deren Zusammenführung zu einer großen eine Voraussetzung für erfolgreiche Lobbyarbeit gewesen wäre.

Wir brauchen mehr Eltern mit kleinen Kindern in der Politik

„Eltern und Familien haben keine Lobby in Deutschland. Und Eltern sind auch oftmals zu müde, zu pleite, zu geschafft, um noch eine Lobby zu gründen“, sagt Anne-Luise Kitzerow, selbst Bloggerin, studierte Zukunftsforscherin und dreifache Mutter in der Reportage „Kinder ohne Schule“ im ZDF über die Situation von Eltern in der Krise. Ich stimme ihr in allen Punkten zu – und setze noch eins drauf: Eine Lobby, die keine Anknüpfungspunkte an die Politik hat, bleibt in ihrer eigenen Echokammer. Gehört werden nur diejenigen, die direkte Kontakte zu Menschen haben, die faktisch mitentscheiden. Deswegen ist es so unglaublich wichtig, dass mehr Eltern mit kleinen Kindern in der Politik aktiv werden.

Eltern forderten über mehrere Wochen hinweg u. a. finanzielle Unterstützung durch die Politik. Schließlich kam es dann zu politischen Versprechen über Zuschüsse und Entlastungen – vor allen Dingen auch durch Politikerinnen und Politiker, die selbst kleine Kinder haben und die die Homeoffice-Homeschooling-Bredouille in der Corona-Krise am eigenen Leib erlebten. Aber: Auf einen Kindergipfel und das Corona-Elterngeld warten betroffene Eltern noch immer und eventuell vergebens. Und das liegt am Ende dann doch daran, dass unsere Politik Frauen, Kinder und Familien nicht besonders im Blick hat.

Empörung allein reicht nicht aus, um etwas zu bewegen

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„Was einflussreiche ältere weiße Herren ‚Stillstand‘ nennen, war für viele Leute, mehrheitlich Frauen, die größte Arbeitsbelastung ever“, twitterte die Theologin und Autorin Ina Praetorius am 11. Juni sehr treffend. Es ist halt alles eine Frage der Perspektive und auch der Sichtbarkeit. Sorgearbeit ist unsichtbar, sie findet meist in den eigenen vier Wänden statt – und was nichts kostet, ist nichts wert. Deswegen war der mit #CoronaElternrechnenab verfolgte Ansatz, den Wert dieser haushaltsnahen Tätigkeiten einmal zu beziffern, eigentlich richtig gut. Aber ohne begleitende Lobbyarbeit geht auch so eine gute Idee leider unter oder eben nach hinten los.

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass Empörung allein nicht ausreicht. Sie muss auch sinnvoll kanalisiert werden. Und am wirkungsvollsten ist es natürlich, wenn die Empörten selbst zu Entscheiderinnen und Entscheidern werden. Aber das braucht ein gewisses Maß an Kraft, das ist die Krux. Wer diese Kraft nicht hat, sollte sich zumindest bei den nächsten Wahlen gut überlegen, wem er bzw. sie die Stimme gibt. Das sollte doch hinzukriegen sein.

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Titelbild: © anokato/shutterstock.com

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